Geschichte des Willibrordi-Doms

Der Willibrordi-Dom zu Wesel ist eine fünfschiffige Basilika mit einem Chorumgang. Das Bauwerk gilt als letzter spätgotischer Großbau des Rheinlandes. Der Grundriss zeigt ein rechteckig eingeschlossenes Hochschiffkreuz.

Diese Architektur ist eine Idealform der Weiterentwicklung benachbarter, vor allem niederländischer Kirchen: Zwischen 1400 und 1550 entstanden beiderseits des unteren Rheins im Gebiet zwischen Rur, Maas und Issel fast 400 Kirchen einer verwandten Bauart. Das nach Größe und verwendetem Material aufwändigste Bauwerk dieser Gruppe ist die Weseler Stadtkirche.

Sie war im Einzelnen noch wesentlich formenreicher, z.B. mit einem Hochschiffgewölbe geplant. Die konfessionelle Umorientierung im 16. Jahrhundert bewirkte, dass diese weitergehende Planung nicht mehr ausgeführt wurde. Als städtische Predigtstätte eignete sich nach damaliger Auffassung nicht mehr eine Kathedrale, sondern die vereinfachte Form einer spätgotischen Kirche.

 

Frühe Zeugnisse einer Kirche

Die fünf Entwicklungsstufen des Willibrordi-Doms nach Prof. Dr. Deurer - 3D-Rekonstruktion: Dießenbacher Informationsmedien

Der Überlieferung nach soll Willibrord (658-739), erster Bischof von Utrecht und Gründer der Abtei Echternach, am heutigen Standort eine Taufkirche errichtet haben.

Grundriss mit eingetragener und ergänzter Projektion der früheren Kirchen.
Quelle: Prof. Dr. Deurer

Bereits um 780 hat an der heutigen Stelle eine kleine Holzkirche gestanden, für die Nachweise bei Ausgrabungen 1956/1957 entdeckt wurden.

Ihr folgte um 1000 eine ottonische Bruchsteinkirche, ein einschiffiger Bau mit Apsis. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde diese Kirche durch eine dreischiffige romanische Kirche abgelöst. Dieses Bauwerk wurde nach der Stadterhebung Wesels im Jahr 1241 um einem mächtigen Chorraum mit Apsis erweitert.

1407 trat Wesel der Hanse bei und konnte auch dadurch seine wirtschaftliche Macht festigen und erweitern. In der Folgezeit, der wirtschaftlichen Hochblüte Wesels, kam es zum Bau der jetzigen Kirche, der in zwei Abschnitte unterteilt werden kann:

Von 1424 bis 1480 erfolgte nachweislich die Planung und der Bau des Turms durch die Baumeister Conrad und Jan van Cavelens. Die seit 1401 erhaltenen Kirchenrechnungen geben darüber Auskunft.

Aus der zweiten Bauphase von 1498 bis ca. 1540 sind Johann von Langenberg (Erweiterung auf fünf Kirchenschiffe), Gerwin von Langenberg (Nordgiebel), Wilhelm Beldensnyder (Schmuck des Brautportals) und Enkel Johann von Langenberg (Vollendung des Steinlettners, der 1594 bei der durch Blitzschlag ausgelösten Brandkatastrophe zerstört wurde) bekannt.

Aus dieser Zeit ist der große Westturm erhalten geblieben.

Wesel war damals auch niederrheinischer Anziehungspunkt für berühmte Künstler: Derick und Jan Baegert und Jan Joest als Maler sowie Henrick Bernds, Martel Brüger und Johannes Gruter als Bildschnitzer. Der Anteil dieser Weseler Künstler an der Gestaltung des Inneren der Kirche kann nur vermutet werden, denn nach der Reformation wurde das Kulturgut verstreut (u.a. Verkauf der Altargeräte und Entfernung der ehemals mehr als 30 Altäre).

Am Ostersonntag des Jahres 1540 vollzieht der Magistrat mit 1.500 Bürgerinnen und Bürgern bei einem Abendmahl mit Brot und Kelch den Übertritt zum neuen Glauben. Weitere Informationen hierzu finden Sie auf der homepage der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

Die Kirche bleibt bis zur Gründung der preußischen Union im Besitz der reformierten Christen. Die kleine Weseler Gruppe der Lutheraner konnte 1729 ein eigenes Gotteshaus errichten, das heutige Lutherhaus an der Korbmacherstraße.

Bis zum 17. Jahrhundert wurde der Kirchenraum auch für weltliche Aufgaben genutzt: Hier fand ab 1515 die jährliche Ratswahl statt, die Zünfte hielten ihre Versammlungen ab. Für den Rat, die Stände und Bürger gab es fest zugeordnete Plätze im Kirchenraum.

Außerdem wurden bis 1805 vornehme Weseler Geschlechter hier begraben bis der Friedhof am Brüner Tor eröffnet wurde. Eine zusätzliche Einnahmequelle für die Kirchengemeinde, die jedoch nicht ausreichte, den Verfall des Bauwerks aufzuhalten.

Neugotische Gestaltung Ende des 19. Jahrhunderts

Wegen Baufälligkeit musste die Kirche 1874 geschlossen werden. Als 1893 die Renovierungsarbeiten begonnen wurden, konnten viele Steinmetze des gerade fertigestellten Kölner Doms beschäftigt werden. Der Westturm, der sich bis dahin im Besitz der Stadt Wesel befand, wurde an die Kirchengemeinde übereignet. Die Kirche wird von 1883–96 aufwändig neugotisch überbaut und feierlich im Beisein von Kaiserin Auguste Victoria und Prinz Heinrich von Preußen am 7. August 1896 wieder geöffnet. In dieser Zeit entstand der Anspruch, die größte Kirche im Rheinland als Dom zu bezeichnen.

Die Baukosten wurden hauptsächlich durch vom Kaiser genehmigte Lotterien aufgebracht. Die Pläne für die Neugestaltung erarbeiteten der Architekt Flügge aus Essen und der Geheime Oberbaurat Adler in Berlin.

Kriegs- und Nachkriegszeit

Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadt Wesel im Frühjahr 1945 beim Rheinübergang der alliierten Streitkräfte in ein Trümmerfeld verwandelt. Der Grad der Zerstörung der Innenstadt Wesels lag bei mehr als 97%. Die Altstadtkirche Willibrord war nur noch ein Torso. Die Dächer waren zerstört, der Turm schwer beschädigt, der Chorumgang fast zur Hälfte zerstört, die meisten Fenstermaßwerke herausgebrochen, von den Gewölben bleiben nur wenige erhalten. Wesels Innenstadt blieb über Jahre unbewohnt. Die Vorstadtkirche Mathena, ebenfalls ein spätgotisches Bauwerk, wurde völlig zerstört und nicht wieder aufgebaut.

Wesel wird im Februar/März 1945 durch Bomdenangriffe und
Artilleriebeschuss völlig zerstört.

Seit 1947 ist der Willibordi-Dombauverein für den Wiederaufbau und die bauliche Sicherung und Unterhaltung der Kirche verantwortlich. Die Arbeiten zur Sicherung und zum Wiederaufbau begannen am 12. Januar 1948.

Nach der schweren Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde für den Wiederaufbau die Wiedergewinnung des ursprünglichen spätgotischen Charakters beschlossen. So präsentiert sich das Bauwerk heute wieder in Formen aus dem 16. Jahrhundert. Die neugotische Überarbeitung des 19. Jahrhunderts wurde – mit Ausnahme des Chorumgangs- weitgehend abgetragen. In enger Zusammenarbeit mit dem Rheinischen Amt für Denkmalpflege waren an der Planung und Ausführung maßgeblich beteiligt:

Gottesdienst in der Ruine, mit Präses D. Held,
unter freiem Himmel, 15. Juni 1949.
  • Fritz Keibel (1947-57, Architekt)
  • Jakob Deurer (1948-60, Dombaumeister, Architekt)
  • Trude Cornelius (1952-70, Denkmalpflegerin)
  • Tadeusz Korpak (1961–80, akad. Bildhauer der Dombauhütte)
  • Prof. Dr. Wolfgang Deurer (ab 1961, Dombaumeister)